Auszug: ...das von ihrer Seele im Fluge aufgenommene Mordlied den Schrei, der sich im Halse zusammengeballt hatte. Der Schrei platzte. Die Mutter schrie und rannte. Schrie langer als ein Atemzug reicht. Stolperte. Fiel nicht. Holte Atem. Schrie weiter. Das war kein Klagegeschrei. Rennen und Schrei kamen aus einer Quelle und verschmolzen in Eins. Stille auf der ganzen Erde. Nur die europaische Mutter schrie. Schrie jetzt die unterdruckten Schreie dreier Jahre. Niemand wagte den Versuch, sie aufzuhalten. Denn hier schrie ...
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Auszug: ...das von ihrer Seele im Fluge aufgenommene Mordlied den Schrei, der sich im Halse zusammengeballt hatte. Der Schrei platzte. Die Mutter schrie und rannte. Schrie langer als ein Atemzug reicht. Stolperte. Fiel nicht. Holte Atem. Schrie weiter. Das war kein Klagegeschrei. Rennen und Schrei kamen aus einer Quelle und verschmolzen in Eins. Stille auf der ganzen Erde. Nur die europaische Mutter schrie. Schrie jetzt die unterdruckten Schreie dreier Jahre. Niemand wagte den Versuch, sie aufzuhalten. Denn hier schrie nicht ein Mensch; hier schrie die Menschheit. Alle fuhlten das. Und eher konnte es einem neben dem Geleise Stehenden gelingen, den heransausenden D-Zug mit dem Zeigefinger aufzuhalten, als da es aller Macht der Welt zusammen gelange, Schweigen zu erzwingen, wenn die getroffene Menschheit schreit. Der Schrei wurde gehort. In Paris, London, Rom, in Amerika, in Kasernen und in Dachkammern. Er wurde in Petersburg gehort. Er sauste hinein in die Herzen. Und er ri die Herzen der Menge auf, die der springenden Mutter straenentlang folgte. Die ganze Stadt fuhlte zum ersten Male plotzlich den Tod der Millionen Sohne, das Leid der Millionen Mutter, da sie das Leid dieser einen Mutter sah. Ihr Schrei war schon nicht mehr der einer Frau; er war tief und rauh geworden, geschlechtlos: ein Menschenschrei, unterbrochen von kurzen Atempausen, in denen das horchende Herz der Menschheit stockte. Ein junger Schutzmann uberholte galoppierend die gewaltige Menge und packte den Arm der schreienden Mutter, die mit dem Schutzmann weitersprang, als habe sie einen bruderlichen Leidensgenossen bekommen. Seine Hand wurde lahm und sank, als er, beim Blick in ihr Gesicht, fuhlte, da er dem Schmerze der Menschheit ins Gesicht sah. Jetzt erst stieg der tausendstimmige Entrustungsschrei der Menge, getragen wie ein Choral, und der junge Schutzmann ahnte, von diesem Tone tief getroffen, da hier nicht Sensation, sondern der unbesiegbare Geist der...
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